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Interview: Es geht nur im Team

Prof. Dr. med. Lena Illert, Quelle: Technische Universität München
PD Dr. Dr. Kristina Schwamborn, Quelle: Technische Universität München
Dipl.-Biol. Nicole Pfarr, Quelle: Universitätsklinikum Heidelberg

Der rasante technologische Fortschritt in der Krebsdiagnostik und -therapie, der zum Wohle der Patienten genutzt werden soll, ist nur von den beteiligten medizinischen und naturwissenschaftlichen Disziplinen gemeinsam zu bewältigen. Ein Gespräch mit den Mitarbeiterinnen der Onkologie und Pathologie der TU München: Prof. Lena Illert, PD Dr. Dr. Kristina Schwamborn, Dipl.-Biol. Nicole Pfarr. Erschienen im Magazin FORUM der Deutschen Krebsgesellschaft (Februar 2024, Ausgabe zum Deutschen Krebskongress 2024, Berlin).

Onkologie und Pathologie arbeiten im klinischen Kontext eng zusammen.
Wie hat sich diese Entwicklung vollzogen? Wann kommt die Pathologie heute ins Spiel?


Schwamborn: Die Zusammenarbeit zwischen Pathologie und Onkologie war schon immer eng. Die Pathologie kümmert sich seit jeher mittels histologischer Untersuchungen an Gewebeproben und Biopsien und der entsprechenden Graduierung und TNM-Klassifikation (Tumor, Nodus, Metastasen) um die Subtypisierung von Tumoren. In den letzten Jahren ist nun die verstärkte Untersuchung molekularer Targets im Gewebe hinzugekommen. Neu ist heute vor allem die schiere Menge an Informationen, die zusätzliche aufgrund molekularpathologischer Untersuchungen von der Pathologie für die Krebsdiagnostik zur Verfügung gestellt werden können.

Pfarr: Von meiner Seite aus, also aus molekularpathologischer Sicht, hat sich diese eng verzahnte Zusammenarbeit zwischen Onkologie und Pathologie in den letzten Jahren erst entwickelt. An der TUM haben wir 2015 damit begonnen, molekularpathologische Diagnostik in größerem Maßstab durchzuführen. Gerade die Einführung von NGS-Analysen in der Diagnostik hat aufgrund der großen Menge an Informationen, die nun geliefert wird und interpretiert werden muss, dazu geführt, dass wir mit der Onkologie viel enger zusammenarbeiten müssen. Wir stehen vor allem über die molekularen Tumorboards mit den klinischen Kollegen in einem regen Austausch.

Illert: Die Pathologie erhält mittels einer Gewebeprobe oder Biopsie nur einen kleinen Ausschnitt eines Patienten, der aber in der Onkologie zeitgleich ganzheitlich behandelt werden muss. Damit dieser Ausschnitt möglichst repräsentativ für das Krankheitsbild des Patienten ist, und die richtige Diagnose gestellt und Therapieentscheidung getroffen werden können, sind Rücksprachen unerlässlich. Gerade mit der Molekularpathologie wird der Austausch zudem immer intensiver, weil die untersuchten molekularen Targets nicht mehr nur für die Diagnostik herangezogen, sondern aufgrund der neuen zielgerichteten Medikamente in den gesamten Behandlungsverlauf einbezogen werden. Die Pathologie ist heute kontinuierlicher Teil der Gesamtbetreuung der Patienten.


Wie wird diese Kooperation in der Praxis bei Ihnen an der TU München gelebt?
Was macht Ihre Kooperation erfolgreich?


Schwamborn: Zum einen ist es bei uns üblich, bei Rückfragen zum Patienten auf kurzem Dienstweg einfach zum Telefon zu greifen. Außerdem tauschen wir uns mit den anderen Fachdisziplinen regelmäßig über die Krankheitsverläufe der aktuellen Patienten in den interdisziplinären Tumorboards aus – mit Frau Illert zum Beispiel im hämatoonkologischen Board.

Pfarr: Ich telefoniere mehrfach täglich mit den Kollegen aus der Onkologie, stelle Rückfragen, frage nach mehr Gewebematerial, beantworte Fragen und nehme am molekularen Tumorboard teil. Ich finde die Zusammenarbeit hier hervorragend.

Illert: Institutionalisiert ist unsere Zusammenarbeit hier an der TUM vor allem durch das Comprehensive Cancer Center (CCC). In dieser Dachstruktur sind 12 Boards als Organe des Austauschs zwischen den medizinischen Fachrichtungen mit einem onkologischen Schwerpunkt angesiedelt, in denen Interdisziplinarität gelebt und dokumentiert wird. Diese tragen signifikant zur Verbesserung der Versorgung der Patienten bei. Hier tauschen sich nicht nur Pathologie und Onkologie – ich decke als Hämatoonkologin zum Beispiel nur einen Teilbereich der Onkologie ab – sondern alle onkologisch tätigen Disziplinen wie bspw. auch Gastroenterologie, Viszeralchirurgie, Strahlentherapie, Urologie oder Gynäkologie zu den aktuellen Krankheitsverläufen der Patienten aus. Wir haben im molekularen Tumorboard bspw. die Pflichtanwesenheit von 10-12 verschiedenen Fachdisziplinen, die alle gemeinsam, auch formal, die Therapieentscheidungen für die Patienten treffen. Alle Boards tagen in der Regel einmal oder sogar auch mehrmals wöchentlich. Die Pathologie ist fast immer vertreten. Zusätzlich dazu findet der tägliche Austausch zu den Patienten zwischen allen Fachdisziplinen auf kurzem Dienstweg statt.

Schwamborn: Die offenen Kanäle hier an der TUM machen die Zusammenarbeit für die Patienten sehr fruchtbar.
 

Wie konkret profitieren die Patienten von der Zusammenarbeit?

Illert: Der Patient profitiert sehr davon, wenn sein Fall in einem Board von mehreren Ärzten betrachtet und entschieden wird, anstatt nur von einem Arzt behandelt und beraten zu werden – gerade, wenn es mehrere Therapieoptionen gibt.
 

Welche Herausforderungen müssen Onkologie und Pathologie derzeit meistern? Wie wird die Zusammenarbeit zukünftig aussehen?

Schwamborn: Eine Herausforderung für die Pathologie ist definitiv, ausreichend gutes Gewebematerial der Patienten zu erhalten, um sowohl die histomorphologische als auch die molekularpathologische Diagnostik abdecken zu können. Das wird immer schwieriger, weil von Seiten der Pathologie immer mehr Diagnostik für eine exakte Subtypisierung der Tumoren und die Identifikation molekularer Targets gemacht werden muss.
Eine weitere Herausforderung ist die finanzielle Vergütung der immer umfangreicher werdenden Diagnostik. Es ist immer wieder ein Streitpunkt mit den Krankenkassen, wer das zunehmende Volumen an Tests bezahlt. Ab nächstem Jahr wird beispielsweise die Ganzgenomsequenzierung im größeren Umfang in die Diagnostik einbezogen.

Pfarr: Die zur Verfügung stehende Gewebemenge ist tatsächlich ein großes Problem.
Ein weitere Punkt ist die wachsende Menge an Daten zu jedem Patienten, die mit der Zunahme molekulargenetischer Untersuchungen gesammelt wird, interpretiert werden muss, und deren Ergebnisse zügig den behandelnden Ärzten zur Verfügung gestellt werden müssen. Bis jetzt waren es nur einzelne Gene, nun kommt die Herausforderung, das ganze Exom eines Patienten in die Diagnostik einzubeziehen. In der Zukunft werden bspw. mit Methylierungsprofilen und Proteomik noch weitere Untersuchungstechniken hinzukommen. Dem müssen wir uns stellen.

Illert: Wir müssen gerade wahnsinnig viel bewältigen, weil der technologische Fortschritt so rasant ist und wir den Patienten daran teilhaben lassen wollen. Für die Anwendung der neuen Techniken ist auch eine Aufstockung der personellen Ressourcen nötig. Zum Beispiel werden an der Seite von Frau Pfarr demnächst noch mehr Bioinformatiker, Informatiker und andere Naturwissenschaftler arbeiten.
Und dann komme ich als Ärztin hinzu, die die Untersuchungsergebnisse erhält und interpretieren muss. Um das zu leisten, werden wir Ärzte verstärkt Physician-Support-Systeme brauchen, auch mithilfe von KI und maschinellem Lernen, welche die molekularbiologischen und bioinformatischen Befunde so auswerten, dass sie vom Arzt auf den Patienten angewendet werden können.
Auch der höhere Bedarf an Gewebe und verschiedener Gewebearten für die Diagnostik in der Pathologie ist ein gutes Beispiel, wie wichtig die Zusammenarbeit und ein gemeinsames Umdenken bspw. von Pathologie, Chirurgie und Onkologie ist. Das ist sehr herausfordernd und es geht nur im Team. Die Ära der Interdisziplinarität und Multiprofessionalität in der Onkologie hat begonnen.

Pfarr: Wir müssen wirklich breiter denken und gegenseitig aus den Erfahrungen der anderen lernen. Wir arbeiten hier an der TUM zum Beispiel mittlerweile auch eng mit der Humangenetik und den Kollegen der klinischen Chemie zusammen. Die Kooperation zwischen den Fachrichtungen wird immer mehr.

Illert: In den nächsten Jahren wird in der westlichen Welt Krebs die zweithäufigste Todesursache werden, die Zahl der onkologischen Patienten steigt, genauso wie der Fachkräftemangel, und die Diagnostik wird immer komplexer. Wir brauchen technische Unterstützung, um die Menge an Diagnosedaten interpretieren und die Patienten gut beraten und longitudinal betreuen zu können.

Schwarmborn: Wir arbeiten bspw. durch die umfassende Digitalisierung der Gewebeschnitte in der Pathologie auch daran, die Möglichkeiten dafür zu schaffen, KIs zu trainieren. Ohne die Unterstützung von Bioinformatikern und Biologen kann das die moderne Pathologie nicht leisten.

Pfarr: Zum Beispiel, um eine KI-gestützte Korrelation zwischen Schnittbildern und molekularen Daten durchzuführen, die bereits einige Hinweise auf das Krankheitsbild geben.
 

Wenn Sie auf Ihre Fachrichtungen schauen, was wünschen Sie sich von Ihren klinischen Kooperationspartnern?

Schwamborn: Dass der erhöhte Bedarf an Gewebe- und Biopsiematerial, den die Pathologie mittlerweile aufgrund der Vielzahl der Tests hat, bei den Entnahmen mitbedacht wird.
Und dass die Kommunikationskanäle zur Informationsweitergabe über die Patienten und bei Fragen von allen klinischen Partnern genutzt werden.

Illert: Das Institut für Pathologie hier an der TUM ist tatsächlich meine Wunschpathologie, weil die Zusammenarbeit so gut funktioniert, das ist nicht zuletzt der Verdienst ihres leider in diesem Jahr verstorbenen Leiters, Wilko Weichert, der eine interdisziplinäre Ausnahmepersönlichkeit war und wollte, dass an seinem Institut die klinische und wissenschaftliche Kooperation aktiv und fachübergreifend gelebt wird.

Pfarr: Immer auch mit Blick auf den technischen Fortschritt, der kommen wird. Bei der TUM besonders im Bereich personalisierte Medizin.

Illert: Wir können die Patienten gerade in der personalisierten Onkologie nur gemeinschaftlich auf Spitzen-Niveau behandeln – Pathologie und Onkologie funktionieren nur zusammen. Die Pathologie liefert die Diagnostik, die Onkologie ist für die Behandlung und den Outreach zuständig. Ich freue mich in diesem Zusammenhang schon auf noch mehr gemeinsame interdisziplinäre wissenschaftliche Projekte!

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Die Interviewpartnerinnen:

Prof. Dr. med. Lena Illert
ist ärztliche Leiterin des Zentrums für Personalisierte Medizin, W3-Professorin für Personalisierte Onkologie und Leiterin des Lymphomprogramms sowie geschäftsführende Oberärztin an der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin lll (MRI) am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München/School of Medicine and Health. Sie ist für die German Lymphom Alliance (GLA), die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) und die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) an verschiedenen Leitlinienprogrammen (u.a. S3-DLBCL, Onkopedia FL, Personalisierte Onkologie) beteiligt und Arbeitsgruppensprecherin für den Bereich Molekulares Tumorboard im Deutschen Netzwerk für Personale Medizin (DNPM), im Bayerischen Netzwerk für Krebsforschung (BZKF) und in den Zentren für Personalisierte Medizin Baden-Württemberg (ZPM).

PD Dr. med. Dr. nat. med. habil. Kristina Schwamborn
ist geschäftsführende Oberärztin, Leiterin der Forschungsgruppe Bildgebende Massenspektrometrie und Teil des Teams der Molekularpathologie am Institut für Pathologie der Technischen Universität München/School of Medicine and Health.

Dipl.-Biologin Nicole Pfarr
ist wissenschaftliche Leiterin der Molekularpathologie und des Forschungsbereichs für Next-Generation-Sequenzing (NGS) am Institut für Pathologie der Technischen Universität München/School of Medicine and Health.
Sie ist außerdem Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Molekularpathologie der Deutschen Gesellschaft für Pathologie und Abgesandte im International Affairs Committee der Association for Molecular Pathology (AMP).

Frau Schwamborn und Frau Pfarr sind Teil des wissenschaftlichen Organisationsteams der kommenden Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Pathologie, die am 23. bis 25. Mai 2024 in München stattfindet. Einer der Themenschwerpunkte wird die personalisierte Krebsmedizin sein.

Vermerk
Für einen guten Sprachfluss wurde im Interview das Maskulinum bei Personenbezeichnungen verwendet. Frauen und diverse Personen sind ausdrücklich mitgemeint.

Korrespondierende Ansprechpartnerin
Beatrix Zeller
Deutsche Gesellschaft für Pathologie e.V. (DGP)
Robert-Koch-Platz 9
10115 Berlin
zeller@pathologie-dgp.de
Tel: 030 25 76 07 27
 

Das Interview ist im Magazin FORUM der Deutschen Krebsgesellschaft anlässlich des 36. Krebskongresses 2024 erschienen, Ausgabe 1-2024. DOI: https://doi.org/10.1007/s12312-023-01293-7
Link zur Originalpublikation

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